Nach einem moderaten Start ins Jahr befinden wir uns temperaturmässig seit Juni auf absolutem Rekordniveau. Verantwortlich dafür zeigt sich in erster Linie das Klimaphänomen El Niño, welches sich besonders stark auf die Ozeantemperaturen auswirkt. Unter den gegebenen Umständen und den weiteren Prognosen gilt es als praktisch sicher, dass das Jahr 2023 in der Endabrechnung neue Massstäbe setzen wird.
Das bisherige Jahr in Zahlen
Zu Beginn des Jahres befanden wir uns zwar in abschwächenden, aber dennoch in vorherrschenden La Niña-Bedingungen. La Niña ist das Gegenstück zu El Niño, wobei diese beiden Begriffe Bestandteil von ENSO sind und grosse Auswirkungen auf die globalen Temperaturen haben. Kurz gesagt tendieren die globalen Durchschnittstemperaturen während La Niña dazu eher tiefer zu sein, während El Niño dafür überdurchschnittlich hoch (mehr Informationen zu diesem Thema gibt es beispielsweise hier). Trotz dieses Vorzeichens war der Januar global betrachtet 0.25 Grad über der Norm (Durchschnitt der Jahre 1991-2020) und damit der siebtwärmste der Messgeschichte (in Europa gar Platz 3). Im weiteren Jahresverlauf fand allmählich der Übergang von La Niña zunächst in eine neutrale Phase und ab dem Frühsommer zu El Niño statt. Dieser Wechsel widerspiegelt sich sehr anschaulich in den globalen Temperaturabweichungen, seit Juni befinden wir uns auf absolutem Rekordniveau. Ein starker El Niño in Kombination mit der generellen Klimaerwärmung führt also zu den extremen Temperaturanomalien. Sowieso stammen alle Monatsrekorde auf globaler Ebene aus den letzten sieben Jahren, 2016 kam es letztmals zu einem ähnlich starken El Niño wie in diesem Jahr.
Monat | Abweichung 2023 (vs. 1991-2020) | Platz | Rekordjahr |
Januar | +0.25°C | 7 | 2020 |
Februar | +0.29°C | 5 | 2016 |
März | +0.51°C | 2 | 2016 |
April | +0.32°C | 4 | 2016 |
Mai | +0.40°C | 2 | 2020 |
Juni | +0.53°C | 1 | bisher 2019 |
Juli | +0.72°C | 1 | bisher 2019 |
August | +0.71°C | 1 | bisher 2016 |
September | +0.93°C | 1 | bisher 2020 |
Oktober | +0.85°C | 1 | bisher 2019 |
November | 2020 | ||
Dezember | 2019 |
Seit Juni auf Rekordkurs
Seit Juni haben alle Monate mit teils beträchtlichem Abstand neue Rekordmarken gesetzt. Besonders eindrücklich waren die Monate Juli bis Oktober, die die bisherigen Rekordmonate zwischen 0.3 und 0.5 Grad überboten haben – dies sind nicht einfach neue Rekorde, auf globaler Ebene sind solche Zahlen eine komplett neue Dimension! Der Juli war zudem mit durchschnittlich 16.95 Grad der wärmste Monat der Messgeschichte, Platz 2 belegt seit diesem Jahr der August 2023 mit 16.82 Grad. Ebenfalls erstaunlich, der diesjährige September war über alles betrachtet auf Platz 18 aller Monate – für einen Übergangsmonat mehr als aussergewöhnlich.
Abb. 1: Verlauf der globalen Oberflächentemperatur; Quelle: Climate Reanalyzer
Sehr hohe Ozeantemperaturen
El Niño wirkt sich aufgrund der veränderten Windmuster besonders auf die Ozeanoberflächentemperaturen des äquatorialen Pazifiks aus. Hier betrugen die Abweichungen zeitweise mehr als 5 Grad. Doch nicht nur der Pazifik war und ist mitverantwortlich für die derzeit hohen Oberflächentemperaturen, auch die restlichen Ozeane sind derzeit oftmals überdurchschnittlich temperiert. In dieser Sparte befinden wir uns schon seit gut acht Monaten in bislang unerreichten Territorien. Und eine baldige Rückkehr auf ein durchschnittliches Niveau ist derzeit noch nicht absehbar. Die schwarz hervorgehobene Linie im unteren Diagramm zeigt den bisherigen Jahresverlauf der Ozeantemperaturen zwischen 60°S und 60°N. Mit derzeit 20.8 Grad liegen wir beispielsweise 0.2 Grad über dem bisherigen Rekord für diese Jahreszeit (2015) und etwa 0.8 Grad über der Norm der Jahre 1982-2011.
Abb. 2: Oberflächentemperatur der Ozeane; Quelle: Climate Reanalyzer
Wenig Meereis, dunklere Oberfläche
Nicht nur zwischen 60°S und 60°N sind die Ozeane viel wärmer als üblich, auch in den Polarregionen sind die Auswirkungen der höheren Temperaturen deutlich sichtbar. Hier in erster Linie anhand der Ausdehnung des Meereises. In der Arktis wies das Meereis im Oktober eine Fläche von 6.9 Millionen Quadratkilometer, was einem Defizit von rund 12 % (0.9 Millionen Quadratkilometer) entspricht (Abbildung 3). Noch extremer präsentiert sich das Bild am Gegenpol. Noch nie war das Defizit des Meereises in der Antarktis so gross wie in diesem Oktober. Die Abweichung beträgt rund 2 Millionen Quadratkilometer oder 11 % (Abbildung 4). Der bisherige Rekord stammt vom Jahr 1986 und lag "nur" bei -5 %.
Abb. 3: Meereisanomalie in der Arktis; Quelle: Copernicus
Abb. 4: Meereisanomalie in der Antarktis; Quelle: Copernicus
Die Temperaturen und die Meereisausdehnung gehen Hand-in-Hand. Es gibt allerdings auch einen sich gegenseitig verstärkenden Rückkopplungsmechanismus. Weniger Meereis bedeutet mehr freiliegende Wasserflächen. Da die Meeresoberfläche dunkler als die Eisoberfläche ist, wird weniger eintreffende Solarstrahlung reflektiert. Es wird mehr Energie absorbiert und somit im System Erde (hier in erster Linie im Ozean) gespeichert. Ein Kreislauf, der sich fortlaufend verstärkt.
Wärmstes Jahr so gut wie sicher
Unter diesen Vorzeichen scheint es so gut wie sicher zu sein, dass das Jahr 2023 zum bislang wärmsten der Messgeschichte wird. Denn einerseits beträgt der "Vorsprung" zum bisherigen Rekord (2016) derzeit rund 0.1 Grad und andererseits waren damals die Monate November und Dezember eher durchschnittlich temperiert. In der Endabrechnung weist das bisherige Rekordjahr 2016 eine Abweichung von +0.44 Grad verglichen mit 1991-2020 auf. Für das laufende Jahr hingegen werden aufgrund der anhaltenden El Niño-Bedingungen, den hohen Oberflächentemperaturen und der geringen Meereisausdehnung weitere überdurchschnittliche Verhältnisse für November und Dezember erwartet. In der Summe dürfte 2023 nach Schätzungen eine Abweichung zwischen +0.51 und +0.58 Grad aufweisen. Wir halten Sie natürlich auf dem aktuellsten Stand.
Abb. 5: Temperaturabweichungen der letzten Jahrzehnte; Quelle: Copernicus