Der Föhn ist eines der bekanntesten Wetterphänomen der Alpen, ist aber nicht allein auf diese Region beschränkt. Föhnphänomene treten überall auf der Welt bei der Überströmung von Gebirgen auf. Föhn ist warm, turbulent und in der Regel trocken. Die einen freuen sich über die angenehmen Temperaturen, die anderen klagen über Kopfschmerzen. Die Forschung über die Entstehung des lauen Windes hat in den Alpenländern grosse Tradition. Aber wie entsteht er denn nun?
Thermodynamische Föhntheorie
Sie ist die bekannteste Theorie und findet sich nahezu in jedem Schulbuch oder populärer Fachliteratur. Sie konzentriert sich vor allem auf die Frage, weshalb der Föhn im Lee des Gebirges wärmer und trockener ist. Der Föhn hat dabei seine Ursache allein beim unterschiedlichen Verhalten der Luft im Luv und Lee. Nach dieser Theorie wird die Luft im Luv (der windzugewandten Seite) gestaut und zum Aufsteigen gezwungen. Dadurch kühlt sich die Luft ab, und das mit 1 Grad/100 Höhenmeter (trockenadiabatischer Temperaturgradient). Irgendwann wird der Taupunkt erreicht (100% Luftfeuchtigkeit), der zuvor gasförmige Wasserdampf beginnt zu kondensieren – es bilden sich Wolken und Niederschläge. Bei der Kondensation wird Energie frei, die zuvor für die Verdunstung aufgewendet werden musste. Diese Kondensationswärme sorgt nun dafür, dass sich die weiter aufsteigende Luft nun weniger stark abkühlt, nämlich nur noch mit rund 0.6 Grad/100 Höhenmeter (feuchtadiabatischer Temperaturgradient). Im Lee sinkt die Luft ab und erwärmt sich wieder um 1 Grad/100 Höhenmeter. Durch das Abregnen im Luv ist die Luft nun aber trockener und wird dadurch wärmer, als sie vor Beginn des Überströmens war. Man nennt diese Theorie auch den Schweizer Föhntyp, da es hier bei Südföhn auf der Alpensüdseite tatsächlich häufig regnet (Stauniederschläge).
Abb. 1: Schematische Föhndarstellung, in diesem Fall mit Niederschlag im Luv des Gebirges ; Quelle: MeteoNews
Nun gibt es aber auch Föhn ohne Niederschläge im Luv, zum Teil sogar ganz ohne Wolken. Die wahre Föhnhauptstadt der Alpen ist Innsbruck, und hier gibt es in mehr als 50% der Föhnfälle südlich des Brenners keinen Regen. Ausserdem erklärt diese Theorie die hohen Windgeschwindigkeiten und das turbulente Verhalten der Strömung nicht. Auch eine Erklärung für das Durchgreifen in die Täler fehlt. Zwar nennt man Föhn auch gerne einen warmen Fallwind, das ist physikalisch gesehen aber nicht korrekt. Denn hier fällt nichts. Die warme Luft ist eigentlich stabil geschichtet (warm = leichter, kalt = schwerer), es gibt aus Sicht der Temperaturen keinen Grund für die absinkende Bewegung.
Hydraulische Föhntheorie
Man nennt dies auch den Österreichischen Föhntyp. Die Bezeichnung "hydraulisch" rührt daher, dass die Luft unter gewissen Voraussetzungen wie eine Flüssigkeit betrachtet werden kann. Mathematisch wird dies mit der Flachwassergleichung beschrieben, dies aber nur am Rande – wir beschränken uns hier nur auf eine stark vereinfachte Beschreibung. Der grosse Unterschied hierbei ist, dass die Luft nicht oder zu einem sehr kleinen Teil zum Aufsteigen im Lee gezwungen wird. Viel mehr liegt hier unterhalb des Kammniveaus eine kalte/kühle und vor allem eher statische Luftmasse (blockiert). Und tatsächlich beobachtet man beim Föhn in Innsbruck in vielen Fällen über Südtirol und der Poebene hochnebelartige Bewölkung – und eben keine Niederschläge. Durch den tieferen Luftdruck auf der Alpennordseite "rinnt" die Luft quasi über Pässe und Bergkämme. Man kann sich das bildlich wie das Überströmen eines Wehrs vorstellen.
Abb. 2: Wasser beim Überströmen eines Wehrs. Vor dem Hindernis ruhig und langsam, ab dem Wehr deutlich schneller; Quelle: Wikipedia
Vor dem Hindernis fliesst das Wasser ruhig und langsam, in etwas grösserer Tiefe bewegt es sich kaum. Im Bereich der Kante wird die vertikale Ausdehnung der Strömung dünner, sie beschleunigt. Man nennt dies "schiessende Strömung" (wer da tiefer einsteigen will, strömungsdynamisch wird dies mit der Froude-Zahl beschrieben). Die Strömung beschleunigt also im Lee und interagiert dort mit der Topographie der Täler. Hier kommen weitere Effekte zum Tragen, denn das betreffende Tal kann enger oder breiter werden oder irgendwann in ein anderes Tal münden. Dabei handelt es sich um den zweidimensionalen Venturi-Effekt und den dreidimensionalen Bernoulli-Effekt. Auch hier wollen wir nicht zu tief in die Materie einsteigen. Jedenfalls kann die Strömung nicht beliebig lang in diesem beschleunigten (schiessenden) Zustand verbleiben. Irgendwann kommt es zu einem "hydraulischen Sprung", bei dem die kinetische Bewegungsenergie turbulent (über Verwirbelung) abgebaut wird. Das klingt kompliziert, doch auch hier kann man ein Bild mit Wasser zur Verdeutlichung heranziehen. In der obigen Darstellung des Wehrs wäre der hydraulische Sprung die sprudelnde und turbulente Wasserwalze. Das nun folgende Bild lädt zu einem Experiment daheim ein:
Abb. 3: Schiessende Strömung und der sie kreisförmig umgebende hydraulische Sprung in einem Waschbecken; Quelle: Wikipedia
Warum steigt der Föhn in die Täler?
Bevor der Föhn durchbricht, ist es üblicherweise im Tal kühler und die relative Luftfeuchtigkeit höher. Wieso schafft es der Föhn, die schwerere (weil kältere) Luft im Tal zu verdrängen? Hierzu gibt es mehrere Ansätze, welche jede für sich einen mehr oder weniger grossen Anteil haben kann – je nach Wetterlage und Topographie. Jedes Föhntal hat seine sehr lokalen Eigenheiten, und kein Föhnfall ist exakt wie der andere. Die Namen dieser Theorien mögen verschreckend wirken, doch auch hier halten wir es so einfach wie möglich:
- Vertikale Aspirationstheorie: Dabei gräbt sich die schnelle Föhnströmung von oben her in den Kaltluftsee hinein, er hobelt ihn quasi Schritt für Schritt weg.
- Horizontale Aspirationstheorie: Dabei wird die kalte/kühlere Luft durch den sinkenden Luftdruck talauswärts abgesaugt, der Weg für den Föhn wird freigeräumt.
- Leewellentheorie: Beim Überströmen eines Gebirges wird die Luft mal mehr, mal weniger vertikal ausgelenkt – sie beginnt in Wellen zu schwingen. Am besten stellt man sich auch hier einen Stein in einem Bach vor, noch weit hinter dem Hindernis setzen sich die Wellenbewegungen fort. Diese Wellen breiten sich vertikal und strömungsabwärts aus. Typischerweise werden die Wellenberge in Form der typischen linsenförmigen Föhnwolken (altocumulus lenticularis) sichtbar.
- Wasserfalltheorie: Die Luft in der Föhnmauer ist kälter und schwerer, damit wäre das dann ein echter Fallwind (der Fachbegriff ist katabatischer Fallwind – der Gletscherwind wäre ein weiteres Beispiel für diesen Prozess).
- Hydraulische Theorie (analog zu oben)
- Solenoidtheorie (würde hier zu weit führen)
Und was stimmt jetzt?
Alles zu einem gewissen Teil! Jeder dieser Ansätze ist eine starke Vereinfachung, die Natur ist komplizierter – vor allem auch die Geländestrukturen. Die thermodynamische Theorie ist zwar die bekannteste und populärste, trägt aber tatsächlich nur zu einem kleinen Teil zur Erwärmung bei. Auch in der Schweiz dominiert in der Regel der hydraulische Aspekt. Wie schon erwähnt ist Innsbruck die eigentliche Föhnhauptstadt in den Alpen, hier kommen einige Besonderheiten zusammen. Sie liegt an der Einmündung des Wipptals in das Inntal, im Süden liegt der Brennerpass. Er ist der tiefste Nord-Süd Alpenpass, die Luft rinnt hier schon bei geringen Druckunterschieden durch das Wipptal nordwärts. Über Kammniveau kann dabei eine ganz andere Strömungsrichtung vorherrschen. Man nennt dies "seichten Föhn", das ausschliessliche Durchströmen eines Passes "gap flow". In der Schweiz sind die Nord-Süd-Verbindungen in der Regel höher, hier ist oft eine unterstützende Südwest-, Süd- oder Südostströmung in der Höhe notwendig ("hochreichender Föhn"). Dieser Artikel soll dieses Thema nur anreissen, von hier ausgehend kann sich die interessierte Leserschaft aber weiter und tiefergehend informieren. Anbei noch eine Übersicht, über die vielen Föhntäler in der Schweiz:
Abb. 4: Föhntäler (Süd- und Nordföhn) in der Schweiz und dem benachbarten Vorarlberg; Quelle: MeteoNews