Die atlantische Hurrikansaison 2022 neigt sich ihrem Ende entgegen. Im Vergleich zu den beiden Vorjahren war sie entgegen vieler Vorhersagen deutlich weniger aktiv, mit 14 benannten Stürmen liegt sie ziemlich genau im langjährigen Durchschnitt. Bei genauerer Betrachtung gab es aber doch etliche Besonderheiten.
In den ersten drei Monaten ruhig, Höhepunkt im September
Die Hurrikansaison im Atlantik dauert offiziell immer vom 1. Juni bis zum 30. November, wobei inzwischen der Beobachtungszeitraum durch die tendenziell immer frühere Entstehung der ersten Stürme auf Mitte Mai vorgezogen wurde. Etliche Institute prognostizierten im Vorfeld eine weitere überdurchschnittliche Saison. Dafür gab es durchaus Anlass, denn zahlreiche Faktoren wiesen in diese Richtung. Im Mai war das Wasser in der Karibik und im Golf von Mexiko sehr warm, an der Oberfläche lagen die Temperaturen 0,5 bis 1,5 Grad über dem für die Jahreszeit üblichen Durchschnitt. Zudem lagen im Pazifik nach wie vor La Niña Verhältnisse vor, was typischerweise die Bildung von Tropenstürmen im Atlantischen Becken begünstigt. Trotz allem erwiesen sich die Bedingungen zunächst als nicht ideal, die Kombination aus Windscherung (möglichst wenig, mehr ist dagegen schlecht) und viel Saharastaub über weiten Teilen des Atlantiks störten die Entwicklung. So war die Saison 2022 die erste seit 2014 ohne benannten Sturm im Mai.

Abb. 1: Zeitlicher Verlauf der atlantischen Tropensturmsaison 2022
Den Auftakt machte Tropensturm Alex am 5. Juni. Er bildete sich aus den Überresten des pazifischen Hurrikans Agatha, welcher Mexiko von West nach Ost überquerte und sich dann vor Yucatan wieder reaktivierte. Alex blieb das einzige Sturmsystem im Juni, erst am 1. Juli folgte ihm Bonnie. Dieser Tropensturm zog ungewöhnlich weit südlich und tangierte Venezuela sowie die ABC Inseln (Aruba, Bonaire und Curaçao). Diese werden in der Regel von Karibik- und Weltumseglern genutzt, um das Ende der Hurrikansaison abzuwarten und diese Zeit für Wartungsarbeiten zu nutzen. Die zweite Besonderheit von Bonnie war, dass er nach der Überquerung von Costa Rica und Nicaragua den Pazifik erreichte und sich dort in weiterer Folge zu einem Hurrikan der Kategorie 3 verstärkte. Es handelte sich damit um einen sogenannten Crossover-Hurrikan, der erste seit Hurrikan Otto im Jahr 2016. Mit Hurrikan Julia gab es im Oktober einen weiteren Sturm dieser Art, was durchaus ungewöhnlich ist.
Danach folgten viele Wochen ohne jegliche nennenswerte Aktivität, die Bedingungen erwiesen sich weiterhin als ungünstig. Erstmals seit 1997 bildete sich im August trotz La Niña kein einziges Sturmsystem. Ende des Monats waren sowohl die Anzahl der Stürme als auch ihre kumulierte Energie (ACE, accumulated cyclone energy) weit unterdurchschnittlich. Anfang September begannen sich die Voraussetzungen aber zu bessern, die Aktivität nahm rasch Fahrt auf. Zuerst entstand am 2. September Kategorie 1 Hurrikan Danielle, dann folgte mit Earl ein Hurrikan der Kategorie 2.
Erster Saisonhöhepunkt - Hurrikan Fiona
Mit Fiona folgte der bis dahin stärkste Sturm der Saison. Das System entwickelte sich zu einem Hurrikan der Kategorie 4 und zog zunächst über die Dominikanische Republik sowie die Turks- und Caicosinseln. Später zog er nordwärts und tangierte dabei die Bermudas. In weiterer Folge verwandelte er sich in einen hybriden Sturm, der auch zunehmend Anzeichen aussertropischer Systeme zeigte. Am 24. September traf er in voller Hurrikanstärke auf die Küste Kanadas (Nova Scotia). Er verursachte grosse Schäden; mit 950,5 hPa war der Luftdruck zudem einer der tiefsten, der je in Kanada registriert wurde.

Abb. 2: Hurrikan Fiona, Kategorie 4
Sturm der Superlative - Hurrikan Ian
Am 24. September begann die Entwicklung des folgenreichsten Sturmsystems der Saison, es bildete sich Tropensturm Ian. Er zog nordwestwärts durch die Karibik und verstärkte sich dabei zusehends. Am 27. September zog er als Hurrikan der Kategorie 3 über den Westen Kubas in den Golf von Mexiko. Über dem sehr warmen Wasser verstärkte er sich weiter und näherte sich der Westküste Floridas. Die Berechnungen favorisierten zunächst einen Landfall im Bereich von Tampa Bay, schliesslich traf Ian aber am 28. September etwas südlicher im Bereich von Cape Coral als Hurrikan der oberen Kategorie 4 auf Land.

Abb. 3: Hurrikan Ian über dem Golf von Mexiko, Kategorie 4
Die Windgeschwindigkeiten lagen zu diesem Zeitpunkt um die 240 km/h, das macht Ian in dieser Hinsicht zum fünftstärksten Sturm, der je auf US Festland traf. Er zog aussergewöhnlich langsam. Die Kombination aus Wind, intensivem Regen und Sturmflut verursachte enorme Schäden. Er überquerte Florida nordostwärts und erreichte wieder den offenen Atlantik. Dort verstärkte er sich noch einmal zu einem Hurrikan der Kategorie 1. Am 30. September kam es an der Küste von South Carolina zu einem zweiten Landfall. Die Auswirkungen von Ian waren katastrophal, die Schadenssumme liegt bei über 100 Milliarden Dollar! Für Florida ist es der teuerste Sturm der Geschichte, 157 Menschen verloren ihr Leben (Kuba und USA).
Saisonfinale
Im Oktober bildeten sich weitere Sturmsysteme, mit Julia aber zunächst nur ein einziger Hurrikan (crossover, Kategorie 1). Erst am letzten Tag des Monats kam mit Lisa ein weiterer Hurrikan dazu. Nach Hurrikan Martin folgte mit Nicole das Saisonfinale. Auch Nicole war ein hybrider Sturm mit einer aussergewöhnlichen Zugbahn. Am 9. November traf sie von Osten kommend auf die Bahamas, am 10. November auf die Ostküste von Florida. Erneut gab es Schäden in Milliardenhöhe durch Wind, Regen und Sturmflut. Letztere trat auch an den Küsten von South und North Carolina auf, grosse Wellen und Rippströmungen führten zum Teil zu enormer Küstenerosion.

Abb. 4: Hurrikan Nicole, Kategorie 1
"Nur" Durchschnitt, und doch katastrophal
Unter dem Strich bilanziert die Atlantische Hurrikansaison 2022 bei 14 benannten Stürmen. Darunter waren 8 Hurrikans, zwei davon starke Hurrikans der Kategorie 4. Diese Zahlen entsprechen dem Durchschnitt der letzten 30 Jahre, die ACE war sogar leicht unterdurchschnittlich. Trotzdem gehört sie durch die grossen Schäden allein in den USA zu den fünf teuersten seit Beginn der Aufzeichnungen!

Abb. 5: Zugbahnen aller tropischer Sturmsysteme in der Saison 2022