Neben dem meteorologischen und kalendarischen bzw. astronomischen Sommer gibt es auch einen vom Stand der Vegetationsentwicklung abhängigen phänologischen Sommer. Gemäss letzterem befinden wir uns bereits zu Beginn des Hochsommers. Die Vegetationsentwicklung ist dabei im Zuge der gestiegenen Temperaturen infolge des Klimawandels durchschnittlich immer schneller und in diesem Jahr nach dem ausserordentlich milden Frühling besonders weit fortgeschritten.
Von der Natur her bereits Hochsommerbeginn!
Der vergangene meteorologische Frühling (März bis Mai) war aussergewöhnlich mild, vielerorts war es der viertmildeste Frühling seit Messbeginn. Insbesondere der Mai war sehr mild und an den meisten Orten der mildeste oder zweitmildeste seit Messbeginn. Kein Wunder, ist auch die Vegetation in diesem Jahr ausserordentlich weit fortgeschritten. Bereits blühen die Sommerlinden, was den Beginn des Hochsommers markiert. Nachfolgend mehr zum phänologischen Kalender und zur fortschreitenden Vorverschiebung der einzelnen Jahreszeiten.
Die Jahreszeiten in der Natur: Der phänologische Kalender
Der Beginn der einzelnen Jahreszeiten und damit auch des Sommers wird auf unterschiedliche Weise festgelegt. Bereits hinter uns haben wir den meteorologischen Sommerbeginn, der aus statistischen Gründen immer auf den 1. Juni fällt. Zudem folgt bald, nämlich am 21. Juni um exakt 11:14 Uhr, der astronomische oder kalendarische Sommerbeginn, an dem die Sonne senkrecht über dem nördlichen Wendekreis steht (Sommersonnenwende) und an dem auf der Nordhemisphäre so der längste Tag ansteht. Daneben gibt es aber auch noch einen kalenderunabhängigen Sommer, den sogenannten phänologischen Sommer.
Bei der Phänologie werden die Eintrittszeiten charakteristischer Erscheinungen, bei Pflanzen die charakteristischen Wachstumsstufen, beobachtet und in einem phänologischen Kalender festgehalten. Dazu gehören zum Beispiel der Beginn der Blüte oder der Blattentfaltung, die Reifung der Früchte oder die Blattverfärbung und der Blattfall. Der phänologische Kalender unterteilt das Jahr in insgesamt 10 Jahreszeiten und orientiert sich an charakteristischen Entwicklungsstadien typischer Pflanzen (phänologische Zeigerpflanzen, siehe untenstehende Grafik). Jede Jahreszeit beginnt nicht an einem festen Tag im Jahr, sondern bei Beginn der neuen Entwicklung einer Zeigerpflanze. Somit gibt es Unterschiede in Beginn und Dauer der Jahreszeit abhängig von Region zu Region und von Jahr zu Jahr.
Abb. 1: Phänologischer Kalender
Der phänologische Sommer
Bei der Phänologie wird der Sommer in Frühsommer, Hochsommer und Spätsommer unterteilt. Der Beginn eines jeden Abschnitts wird dabei durch den Blühbeginn bzw. Entwicklungszustand verschiedener Pflanzen definiert.
Frühsommer: Holunder und Pfingstrosen blühen
Der Frühsommer beginnt mit der Blüte des Schwarzen Holunders und der Pfingstrosen. Diese erfolgte in diesem Jahr im Norden etwa Mitte Mai und damit mehr als eine Woche früher als im Durchschnitt der letzten Jahre. Die Blütezeit beider Arten ist nun bereits zu Ende, der Holunder hat schon kleine Früchte gebildet (vgl. nachfolgendes Foto).
Abb. 2: Aktuell verblühter schwarzer Holunder (Bild aus dem Sarganserland)
Hochsommer: Sommerlinden und Hortensien beginnen zu blühen, rote Johannisbeeren sind reif
Der Hochsommer beginnt gemäss phänologischer Definition mit der Blüte der Sommerlinden und Hortensien. Die Blüte der Sommerlinde hat dabei bereits begonnen. Dies ist auch am unverkennbaren lieblichen Duft zu erkennen, der aktuell von einer Lindenallee oder einem mit Linden bestockten Wald ausgeht. Dieser Duft hat auch den schreibenden Meteorologen in den letzten Tagen betört und ihn zum Sammeln von Lindenblüten für einen feinen Tee animiert!
Abb. 3: Aktuell blühende Sommerlinden (Bild aus dem Sarganserland)
Auch der Blühbeginn der Hortensien sowie die Reife der Roten Johannisbeeren wird mit dem Beginn des Hochsommers verknüpft. Die Hortensien beginnen dabei aktuell zu blühen, die Roten Johannisbeeren sind reif und erntebereit (siehe Foto). Dies bedeutet, dass wir uns gemäss Phänologie bereits zu Beginn des Hochsommers befinden, dabei hat ja kalendarisch noch nicht einmal der Sommer begonnen!
Abb. 4: Aktuell reife rote Johannisbeeren (Bild aus dem Sarganserland)
Spätsommer: Dahlien blühen und frühe Apfelsorten werden reif
Der Spätsommer beginnt mit der Blüte der Dahlien und der Reife von frühen Apfelsorten. Dies ist normalerweise erst gegen Ende Juli der Fall, dürfte aber dieses Jahr auch deutlich früher sein, der Entwicklungszustand des frühblühenden Klarapfels ist schon ziemlich weit (siehe nachfolgendes Foto).
Abb. 5: Aktueller Entwicklungszustand des Klarapfels (Bild aus dem Sarganserland)
Klimawandel sorgt für eine Vorverschiebung der Jahreszeiten
Am Beispiel des Beginns der Blüte des Schwarzen Holunders und damit definitionsgemäss des Beginns des Frühsommers soll nachfolgend aufgezeigt werden, dass sich die Jahreszeiten immer mehr nach vorne verschieben. Dazu soll die Station in Rafz im Zürcher Unterland herangezogen werden, wo seit 1952 Daten zum Blühbeginn des Schwarzen Holunders erfasst werden (siehe nachfolgende Grafik von MeteoSchweiz).
Abb. 6: Zeitpunkt der Holunderblüte in Rafz 1952-2021 im Vergleich zum langjährigen Mittel (Quelle: MeteoSchweiz)
Man erkennt, dass der mittlere Blühzeitpunkt des Schwarzen Holunders zwischen 1952 und 2021 in Rafz am 4. Juni war und sich der Blühzeitpunkt in den letzten Jahren immer weiter nach vorne verschoben hat. Zwischen 2010 und 2020 war der durchschnittliche Blühzeitpunkt rund 8 Tage früher als im Durchschnitt des gesamten Zeitraums, nur 2013 war eine Ausnahme, ebenso wie nachfolgend 2021. Die phänologischen Beobachtungsreihen in der Schweiz und in anderen europäischen Ländern zeigen überstimmend, dass mit Zunahme der Durchschnittstemperatur vor allem der Frühling und der Sommer deutlich früher beginnen als noch vor einigen Jahrzehnten.
Warum sind die Zeitpunkte der einzelnen Jahreszeiten im phänologischen Kalender so spät angesetzt?
Es fällt auf, dass die Zeitpunkte der einzelnen Jahreszeiten im phänologischen Kalender sehr spät angesetzt sind. Dies hat einerseits wie erwähnt mit dem Klimawandel zu tun, andererseits aber auch damit, dass der Ursprung des Kalenders weit zurückreicht. So erstellte bereits der schwedische Naturwissenschaftler Carl von Linné (1707–1778) den ersten Blütezeitenkalender. In der Schweiz begann man im 19. Jahrhundert mit der systematischen Erfassung. Damit geht der Kalender auf Zeiten mit anderen (kühleren) klimatischen Verhältnissen zurück, was die spät angesetzten mittleren Zeitpunkte mit erklärt.